die europäische wildnis, eine odyssee (UA) (2016), Sascha Hargesheimer
Schauspiel Frankfurt in Kooperation mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen
Fotos: Birgit Hupfeld
der neue kontinent wird aus ruinen entstehen
Es spielen: Verena Bukal, Heidi Ecks, Carina Zichner, Justus Pfankuch und Matthias Scheuring
Bühne: Daniel Wollenzin
Kostüme: Lili Wanner
Musik: Markus Steinkellner
Dramaturgie: Henrieke Beuthner
Der Text schrammt mehr am Klischee entlang als die Inszenierung. Regisseurin Katrin Plötner setzt sorgfältig ein Prinzip um, das Autor Sascha Hargesheimer schon in seinem Text angelegt hat, der keinen einzigen Absatz einer festen Figur vorschreibt. Damit steht formal zur Disposition, worum es hier thematisch geht: Identitäten. Grenz-Ziehungen. Die Regie hat klare Entscheidungen getroffen, welche Figur welche Geschichte erlebt, wie sich Episoden entwickeln und wie sie zu roten Fäden für kleine Biografie-Miniaturen führen.
Aber gleichzeitig überspringt das Spiel dieses Prinzip auch: Von einer Figur wird erzählt, eine andere übernimmt die wörtliche Rede, wieder eine andere das Spiel. Manchmal macht die erzählte Figur auch einfach nicht, was von ihr erzählt wird. Und manchmal begreift sie erst langsam die Zuschreibung, findet sich hinein und „improvisiert“ (sichtlich sorgfältig geprobt). Dabei entsteht die melancholische Leichtigkeit eines Episodenhaften, das der Text bereits angelegt hat.
Ein netter, leichter Abend ist entstanden. Mit einem untergründigen, alptraumhaften Grollen.
Deutschlandradio Kultur
Katrin Plötners Inszenierung folgt Hargesheimers Erzählung genau. Die Mischung aus anonymem Erzähler-Ich, identifizierbarem Figuren-Ich und gelegentlichen Dialogfetzen wird getreulich reproduziert. [...] Drei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler sprechen ohne feste Figurenzuteilung, mimen aber immer auch Reaktionen, imitieren Aktionen, kommentieren gestisch das Gesagte. Dieses semimimetische Spiel bewirkt einen heiteren, distanzierenden, leichtsinnigen Unernst, der angenehm mit der trostlosen, tiefsinnierenden Gegenwartsanalyse des Textes kontrastiert, ohne sie preiszugeben für Amüsement.
Das gelingt vor allem in zwei Episoden: in der gemeinsam durchgesprochenen Bombenpanik in der U-Bahn, weil ein Mann sich auffällig an seine Sporttasche klammert. Hier wird eine Erfahrung, ein alltägliches Dilemma, mikroskopisch genau durchdacht und untersucht und dann auf der Bühne wieder gestisch vergrößert. Und in Carina Zichners Monolog der Journalistin über ihr fatales Interview, in dem sie alle Reflexionsschleifen durchläuft, in den sie aber auch alle Wut, allen Selbsthass, alle Selbstbehauptung dieser Figur hineinsteigert bis zum Szenenapplaus des Premierenpublikums.
www.nachtkritik.de
Gesprochen wird meist in einem rapiden Tempo. Da zeigt sich einiges von der charakteristischen Turbulenz einer Ensembleinszenierung, die Regie überreizt diesen Effekt jedoch nicht. Sie nimmt das Tempo immer wieder zurück und vermeidet es auf diese Weise, die komödiantischen Mittel in ein schnödes Volldampftheater zu treiben. Das Schauspielerquintett formiert sich mitunter zu einer dicht aneinandergeklammert bangen skulpturalen Gruppe.
Es ist dies ganz entschieden ein Abend der Schauspieler, der Text - nun ja. [...]
Der konturensicheren Regiehand von Katrin Plötner gelingt es, die durchweg großartigen Schauspieler mit einem zwar pointierenden, im Ganzen aber nicht albernen Spiel ohne Aplomb in Szene zu setzen. Damit leistet sie eine Art von Notdienst am Text und schlägt tatsächlich eine redliche Form von Kurzweil heraus, obschon das ganz und gar nicht darin angelegt ist.
Frankfurter Rundschau
Gedankengetöse im modernen Menschen in einer rasenden Welt auf einer Irrfahrt ins Nichts. Ernst werden hier tiefste Zweifel und Ratlosigkeiten ausformuliert. Behutsam kombiniert die Regisseurin frontales Sprechen und kleine Spielszenen. [...] Die fünf Darsteller untermalen das mit einem heiteren, zurückgenommenen und niemals ironischen Spiel.
Deutschlandfunk
In seiner „Odyssee“ begegnen sich Heimatlose an Nicht-Orten wie diesem Flughafen-Transitraum, welcher sich später, dazu reichen einige Dutzend Quallen-Imitate, ins Mittelmeer verwandelt. [...]
Katrin Plötners Regie findet die richtigen Antworten auf die Herausforderung einer raschen Szenenfolge bei häufigen Ortswechseln, indem sie mit einem sehr engagierten Ensemble, alle Schauspieler schlüpfen wechselweise in die Erzählerrolle, hohes Tempo geht bei nahtlosen Übergängen. So ist ihr Regiestil eine Entsprechung zu Sascha Hargesheimers Schreibstil, eine seltene Symbiose. Von beiden wird man sicherlich noch hören.
Sonntagsnachrichten
Schauspiel Frankfurt bringt eine packende Uraufführung auf die Festspielbühne - ein packender Sturzflug durch „die europäische wildnis“. [...] Fesselnd von der ersten bis zur letzten Minute.
Regisseurin Katrin Plötner bringt die Geschichte sehr stimmig mit den Mitteln des Stegreif- und Improvisationstheaters auf die Bühne: Jeder Akteur verkörpert mehrere Figuren und ist zugleich Spieler und Erzähler. [...]
Das Schauspiel Frankfurt bringt den nicht eben leichten Stoff in einer packenden Inszenierung kurzweilig auf die Bühne. Für die Uraufführung gab es großen, langanhaltenden Beifall im Kleinen Haus der Ruhrfestspiele.
Recklinghäuser Zeitung
Diese und andere Geschichten fügt Hargesheimer zu einem Prosatext mit großen Dialogen zusammen, den man gar nicht zwangsläufig dem Theater zuordnen muss.
Regisseurin Katrin Plötner macht aus der Notwendigkeit, die szenischen Beschreibungen durch die Schauspieler umsetzen zu lassen, eine Tugend des Zusammenspiels. Die fünf Darsteller sprechen chorisch, in wechselnden Ensembles und solistisch diese Texte und verwandeln sich im Dialog in konkrete Figuren. [...]
Auf puristisch-abstrakter Bühne fördert die Regie vor allem den Humor des Textes zutage, lässt Katrin Plötner etwa Journalisten im Chor ihr Redaktionsbüro besingen oder eine Schauspielerin das angesprochene Gebrabbel im Hintergrund mit den leisen Worten „Brabbel, Murmel“ illustrieren. So wird die Reise der fünf Figuren durch ihre europäische Wildnis, als Koproduktion des Schauspiels Frankfurt im Kleinen Theater der Ruhrfestspiele, zum unterhaltsamen 90-Minüter.
Westfälische Nachrichten
Eine Unmenge Worte, gesprochen in rapidem Tempo: Merkmale des Ensembletheaters. Die Regie legt es indes nicht auf eine Revue der Effekte an, gescheit nimmt sie das Tempo zurück. Die allesamt brillante Schauspieler vermögen aus dem Stück eine Steilvorlage zu ziehen.
Offenbach-Post
Sascha Hargesheimers „Odyssee“, die Homers Motiv der Heimatsuche variiert, ist vielstimmige Gedankenprosa. Im kühlen Bild eines Flughafen-Terminals lösen Regisseurin Katrin Plötner und Dramaturgin Henrieke Beuthner den erratischen Textblock grandios in „Sprechparts“ für fünf exzellente Darsteller auf.
Der Westen