Hamlet, Prinz von Dänemark (2016), William Shakespeare
Theater Regensburg
Fotos: Jochen Quast
Es ist was faul im Staate Dänemark.
Es spielen: Verena M. Bauer, Franziska Sörensen, Frerk Brockmeyer, Jacob Keller, Michael Haake, Robert Herrmanns, Stefan Schießleder, Benno Schulz und Sebastian M. Winkler
Bühne: Marie Moser
Kostüme: Lili Wanner
Musik: Markus Steinkellner
Dramaturgie: Jana Schulz
Die Inszenierung von Katrin Plötner beginnt vielversprechend - um dann schrill wie ein Comic zu enden.
Das Fundament, auf dem sie stehen, hängt schief. Die Bühnenbildnerin Maria Moser hat Shakespeares Figuren auf ein schräg abfallendes Dreieck gestellt, dessen Spitze auf einen Grabhügel deutet. Langsam schreitet die Trauergemeinde herab, um dem toten König die letzte Ehre zu erweisen. Unter dem schwarzen Cape seiner Witwe aber, die das Bett mit seinem Mörder teilt, blitzt ein leuchtend rotes Kleid hervor.
Mit schnörkellos klaren Bildern eröffnet Katrin Plötner ihre „Hamlet“-Inszenierung im Theater Regensburg. Ohne politische Aktualisierungen zeigt sie eine von Machtgier, Intrigen und Lügen regierte Gesellschaft. Jeder misstraut jedem. „Hab' Angst“, rät Polonius Ophelia, ein fieser, eiskalter Taktiker (Frek Brockmeyer), der seine Tochter instrumentalisiert. Der gewiefte Politprofi Claudius (Stefan Schießleder) setzt gemeinsam mit Hamlets Mutter Gertrud (Franziska Sörensen) dessen Freunde als Spione ein. Alle belauern, täuschen und bespitzeln einander. „Dänemark ist ein Gefängnis“, erklärt Hamlet, der nackt bis auf einen Gürtel hereintapst. Lauscher schleichen umher, unter der Spielfläche kriecht der junge Fortinbras mit Norwegen-Fähnchen hervor, der von den mit sich und ihren Ego-Interessen beschäftigten Dänen ignoriert stets im Hinter- und Untergrund präsent ist und sich am Ende den von innen her verfaulten Staat aneignen wird.
Um ein verrottetes System auszustellen, dafür nimmt die bundesweit bekannte 31-jährige Regisseurin, die bereits mehrfach in Regensburg zu Gast war, Verluste in Kauf. Sie reduziert den Facettenreichtum der Figuren und greift in ihrer etwas überhastet voranjagenden Shakespeare-Version zu schroffen Textkürzungen. Dennoch folgt man der Aufführung gespannt, neugierig darauf, wohin sie führen wird.
Der seiner Hoffnung auf den Thron beraubte Hamlet ist bei Plötner kein Melancholiker, kein scharfsichtiger tatgehemmter Intellektueller, sondern ein trotziger, zornig aufbrausender Jüngling, der gern ein starker Mann wäre, aber dauernd ausrutscht und zu Boden knallt. [...]
Das Gewaltpotenzial, das in Hamlet steckt, enthüllt sich erstmals in seiner Beziehung zu Ophelia, die er brutal vergewaltigt. [...]
Nach der Pause führt er eindringlich einen Fanatiker vor, der sich das Recht anmaßt zu morden, sich die Hand in die Hüfte gestützt in Feldherrnpose wirft. „Hamlet“ als die Geschichte einer Radikalisierung zu erzählen, ist eine durchaus einleuchtende Lesart des Klassikers.
Süddeutsche Zeitung
Das Bühnenbild im Velodrom zeigt nichts als eine schiefe Ebene, ein Dreieck, auf dem sich zu halten ein gewaltiger Kraftakt ist; Sinnbild auch für eine Zeit, eine Gesellschaft und Individuen, die aus den Fugen sind. „Der er et yndigt land“: Unter anschwellendem Nationalgesang bauen sich die Protagonisten wie in einer therapeutischen Familienaufstellung auf. Sogleich wird klar, wer hier alleine ist und bleibt: Hamlet. Als seine Mutter ihrem Geliebten die Krone aufsetzt, fällt er unter Böllerschüssen wie ein erlegtes Stück Wild zu Boden.
Gertrude (Franziska Sörensen), Hamlets Mutter, und Claudius (Stefan Schießleder), der Bruder ihres gerade verstorbenen Mannes, halten Hochzeit - unter ihren Füßen die braune Erde, in der Hamlet gerade erst die Asche seines toten Vaters verstreut hat - und einige Gramm davon auch auf sein Haupt. Der Prinz probiert die Krone auf, doch sie rutscht ihm über die Ohren. Ein starkes symbolisches Bild für den jungen Dänen, der sich um den Thron beraubt sieht - obwohl ihm der Hermelin wahrscheinlich wirklich noch eine Nummer zu groß ist.
Die Titelrolle spielt Jacob Keller, der mit dem Kulturförderpreis des Freistaats ausgezeichnete junge Schauspieler, den Kritik und Publikum gleichermaßen lieben. Ihm liegt das Hohlwangig-Existenzialistische. Wenn er splitternackt über die Bühne läuft, ist das kreatürlich, nicht peinlich. [...]
Katrin Plötner dreht die Menschen auf bis zum Anschlag. Schon aus ihrem „Woyzeck“ schlugen Emotionen, die wie Elementargewalten alles aus dem Weg fegen. Und nackt, verletzlich, roh, brutal erleben wir auch Hamlet. Er ist weder edler Rächer noch schwaches Rädchen im Getriebe der Macht. Er manipuliert und tötet ja selbst, liefert seine ergebenen Gefährten Rosencrantz und Guildenstern (ein großartiges Gespann: Robert Hermanns und Benno Schulz) ans Messer, würgt seine kreischende, zappelnde Geliebte Ophelia in den Wahnsinn.
Rachefeldzug, Polit-Thriller, Familiendrama und zunehmend groteskes Meta-Theater: Dies und mehr ist der Regensburger „Hamlet“. Wie immer bei Plötner in fesselnd schönen, wirkmächtigen Bildern mit dramatischer Lichtregie, wie immer auch mit viel verspieltem Witz. Rosencrantz' und Guildensterns Schauspiel, das den mörderischen Onkel entlarven soll, ist eine burleske Travestie. Der Geist des toten Vaters trägt grellrote Bäckchen und angeklebten Rauschebart, Rosencrantz Lockenperücke und BH zum Oberlippenbärtchen. [...]
Das Ensemble zeigt einmal mehr eine geschlossen glänzende Leistung.
Mittelbayrische Zeitung
Im Dienste der falschen Wahnsinnswelt macht Regisseurin Katrin Plötner bei der Spielzeiteröffnung in ihrer starken Inszenierung Shakespeares „Hamlet“ im Theater Regensburg vieles, sehr vieles richtig. Das Bühnenbild (von Maria Moser) ist ein weißes, schiefes Dreieck, dessen Spitze im Bühnenvordergrund auf einen Haufen Dreck zeigt; dort sind Grab und Tod und Untergrund, dort wühlen und besudeln sich Leute, wenn's ans Eingemachte geht, von dort aus wachsen die Verwerfungen, blühen Hader, Rache, Mord, Irrsinn. Das Grab ist hier nicht das Ende, sondern der Anfang aller Dinge. Und vor ihm verwandelt sich die Dreiecksspitze zuletzt zum Ort des finalen Blutbads.
Es rummst im Staate Dänemark. Die sinnliche Präsens der Handlung macht jeweils schon der Musikteppich von Markus Steinkellner klar, der sich zu Beginn und nach der Pause rabiat und radikal auf die Zuschauer ergießt. [...]
Falsch und richtig, gut und böse: Klare Kante zeigt in Regensburg nicht nur das Bühnenbild, sondern auch das Licht. Plötner baut eine Licht- und Schattenwelt, durch die Hamlet taumelt, eine Hell-Dunkel-Landschaft, die die Klarheit der Vernunft zerbricht, aus der aber der Titelheld zunehmend auch seine Kraft schöpft. Er kommt zu sich, indem er außer sich gerät. Das süße Liebespaar, das zu Beginn sich herzend herumtollt, erträgt die bittere Wirklichkeit zwar nicht und kommt in ihr um, trägt sein Schicksal aber in der fast mathematischen Zwangsläufigkeit ihres Abdriftens wie wirkliche Helden stolz und sachlich: Verena Maria Bauer als Ophelia, grandios Jacob Keller als Hamlet.
Kellers Hamlet wird getrieben und gebremst von Wut und Melancholie, das zieht ihn in eine Zerrissenheit, die kaum auszuhalten ist. Er wird, zuerst nackt, am Ende zu einem Racheritter in goldener Rüstung. Die Handlung - vorwärtsgetrieben durch ein durchweg hoch beeindruckend spielendes Ensemble mit einem kleinen, feinen Zuckerguss des Komischen, für den Rosencrantz (Robert Herrmanns) und Guildenstern (Benno Schulz) sorgen - mündet schließlich in ein surrealistisch wirkendes Finale. Plötner verkürzt den Schluss auf ein Blutbad mit Farbeimern und Geschrei und Ophelia als eine Art polynesischem Todesengel: ein ganz starkes Bild am Ende eines bilderreichen Theaterabends.
Donaupost
Der Familientherapeut und Kolumnist der Digitalen Sonntagszeitung Sebastian Sonntag hat für uns die „Hamlet“-Premiere besucht. [...]
Ich arbeite viel mit trauernden Menschen. Deshalb empfand ich die Darstellung der Trauer Hamlets um seinen Vater ganz am Anfang sehr authentisch, dicht und hoch emotional. Die zweite Szene danach, als alle beteiligten Personen stumm und starr wie in einer Familienaufstellung auf der schrägen Ebene standen, war für mich ebenso großartig. Da kam für mich etwas von der unheimlichen Familien-Dynamik rüber, die ich von dieser Arbeit kenne. [...]
Sehr gut gefallen hat mir vor allem, wie schon erwähnt, die Anfangsinszenierung. Der Aufbau der Spannung mit der gewaltigen Musik und diesem plötzlichen Moment der Stille. Da war etwas erfahrbar von der Dramatik und Tragik dieser Geschichte. Den Bühnenaufbau mit der schrägen Ebene empfand ich toll, wie das Energiefeld eines Familiensystems.
Mittelbayrische Zeitung
Die große Geschichte um Macht, Gewalt, Liebe und Raserei des Dänenprinzen Hamlet inszeniert Katrin Plötner als wahnhaftes Spektakel, nach dem es eine mehrköpfige Putzkolonne im Regensburger Velodrom brauchen dürfte. [...]
Plötner erschafft einige starke Bilder. Der Rest ist Schweigen. Mit diesem berühmten Satz endet die Regensburger Hamlet-Inszenierung, die die aktuelle Spielzeit in der Sparte Schauspiel eröffnet. Die guten zweieinhalb Stunden Shakespeare, die das Ensemble meist kletternd über und unter dem weißen Dreieckskubus auf der Bühne des Velodrom zugebringt, zeigen, dass hier viel gewollt wurde. [...]
Ihr zu recht gefeiertes Talent starke Einzelbilder zu erzeugen, funktioniert bei fragmentarischen Stücken wie dem Woyzeck und bescherte Konstantin Küsperts „pest“, das sich durch seinen Episoden-Charakter auszeichnet, eine gelungene Uraufführung.
www.samtundselters.de
Der Raum unter der schiefen Ebene für die Spione mit den norwegischen Fähnchen und auch die kleinen humoristischen Einlagen, wie beim von Rosencrantz und Guildenstern aufgeführten Theaterstück oder als Hamlet zum Schluss eine kleine Türe in der schiefen Ebene entdeckt, bereichern diese Inszenierung.
Oberpfalznetz